Datum: 09. Juni 2004 12:27
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Ente, willst du ewig schnattern?
Hoch lebe der menschlichste Erpel der Welt: Donald Duck wird heute 70 Jahre alt
Von Oliver Reinhard
Die meisten herkömmlichen Helden sind eindimensional und daher furchtbar langweilig. Jemand, der ausschließlich stark, gut, schön und erfolgreich ist, moralisch völlig integer und also allem Normalsterblichem himmelweit entrückt – wen außer hilflose Eltern mit Erziehungsproblemen soll das noch interessieren? Aber, so rufen Comicfreunde hier gewöhnlich aus, aber es gibt doch Micky Maus! Den Saubermann schlechthin! Hüter von Gesetz und Ordnung! Sozial engagiert bis zum Abwinken! Das trifft sicherlich zu. Umso bedeutsamer, dass Micky auf der ewigen Beliebtheitsliste der Comic-Helden nur ewiger Zweiter ist, weit hinter seinem Entenausener Nachbarn Donald Duck.
Erfrischend unheldisch
Donald, der heute 70 Jahre alt wird, ist der Größte. Eben weil er so erfrischend unheldisch ist. Er hat Plattfüße, ist zu blass, weiß weniger als seine Neffen, ist modisch hilflos (seit Jahrzehnten der gleiche Matrosenanzug!), chronisch pleite und cholerisch, vom Pech verfolgt, ewiges Opfer seines turbokapitalistischen Ausbeuter-Onkels Dagobert, aber im Herzen goldig und von unbeugsamen Wiederaufsteh-Qualitäten. Kurz: So wie Donald, den nichts dauerhaft in die Knie zwingen kann, der ein Verlierer ist und trotzdem ungeheuer beliebt – wer wäre nicht gern wie er? Aber Donalds Heldentum ist keine Frucht elterlicher Pädagogik, kein Produkt eines zeichengenetischen Masterplans. Vielmehr das Resultat einer basisdemokratischen Entwicklung: Das Volk, nicht seine Schöpfer, hat ihn zum Helden erkoren. Für Donalds spirituellen Vater Walt Disney war er nur eine Notgeburt: Als rotzfreches Pendant zu Micky, der Ende der 1920er Jahre in der Publikumsgunst sank, weil er vielen zu brav wurde. Zur Welt – allerdings noch nicht im Bild – kam der Enterich 1931 als Randfigur im Buch „The adventures of Mickey Mouse“. Zwei Jahre später sah man ihn auch gezeichnet, doch als eigentliche Geburtsstunde gilt jener Auftritt, in dem Donald erstmals als Charakter greifbar wurde: Am 9. Juni 1934 erhob er im Trickfilm „The Wise Little Hen“ erstmals seine heisere Schnatterstimme, tanzte – und machte ausnahmslos Blödsinn. Genau davon wollte das Publikum mehr, viel mehr, und Donald kam fortan regelmäßig, in Zeitungen und auf der Leinwand, vertrieb schließlich Micky Maus vom Thron der beliebtesten Figur Walt Disneys. Sehr zu dessen Missfallen: Micky, das war seine Ideal- und Identifikationsfigur, so wünschte er sich die Menschen. Nicht wie jenen rüpelhaften gefiederten Anarcho-Plattfuß.
Liebling von Literaten
Donald juckte das nicht die Grütze. Er durchlebte seither tausende Abenteuer, in aller Welt und im Weltraum, er war Forscher, Lehrer, Kapitän, Rennfahrer, Hexen- und Gangsterjäger, erzog seine Neffen, liebte seine ewige Verlobte Daisy Duck, rettete mehrfach die Welt ... und das mit einer vielgestaltigen Gestik und Mimik, die nicht ihresgleichen hat innerhalb der grafischen Literatur.
Das verdankt Donald Duck seinem wahren Vater Carl Barks, der ihn seit 1943 mit dem Zeichenstift erzog, zum schillernden Charakter machte und eine große Familie zur Seite stellte: die Neffen, Dagobert, Daisy, Oma Duck, Gustav Gans ... Die Geschichten, die Barks sie erleben ließ, waren mehr als triviales Zeug: Auch als Autor – so schreibt Andreas Platthaus, Vize-Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen, im Buch „Im Comic vereint“ – bleibt Barks in seiner Zunft unerreicht. „Niemand hat wie er nahezu sämtliche Überlieferungen der Menschheitsgeschichte – Mythen, Sagen, Legenden, Romane oder Reisebereichte – benutzt“, um die Welt von Entenhausen „vor unseren Augen entstehen zu lassen“. Die Riege der Donald-Fans unter den Literaten ist entsprechend prominent besetzt: H.C. Artmann, Peter Handke, Urs Widmer, Robert Schindel; nicht nur sie haben der Ente ihre Reverenz erwiesen.
Mitschuldig an Donalds Erfolg in Deutschland ist seine Übersetzerin Erika Fuchs und ihre pittoreske, lautmalende, äußerst humorige Sprache. Sie stattete die Ducks mit einem immensen Repertoire aus, das von „Klatsch“, „Staun“, „Runterschalt“ bis zu Entlehnungen von Busch, Goethe, Shakespeare reichte – und Schiller: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr“ lautet der Rütli-Schwur in der Version von Tick, Trick und Track. Es verwundert kaum, dass das Duck-Universum gerade in Deutschland ein populärer Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Vor allem die Donaldisten, ein Vereinigung zumeist recht bewanderter Entenfreunde – darunter etliche mit hohen akademischen Weihen – widmet sich so ergiebeigen Themen wie der verschämten „Sexualität in Entenhausen“, der „Donaldistischen Utopie“ oder den „Auswirkungen des Permutations-Syndroms auf die Lebensqualität in Entenhausen“. Vielleicht stimmt es ja tatsächlich, dass Donald „die reichhaltigste und in ihrer Kontinuität bemerkenswerteste Kunstfigur des letzten Jahrhunderts ist“, wie der Publizist Marc Degens schreibt.
Donald – ein Faschist?
Geichwohl hat die Mensch gewordene Ente menschliche Feinde. Nicht allein jene Gestrigen, die Comics per se für Schund hielten und halten; in der DDR waren Donald & Co. offiziell unerwünschte Bückware, in der frühen BRD galten Comics den meisten Eltern und Pädagogen als schädlich und „Verdummung“.
Nein, der Donald-Skeptizismus reichte einst noch tiefer. In der Achtundsechziger-Ära geriet die Ente ins Visier mancher Politologen und Kulturkritiker. Verklärten er und die Entenhausener nicht die US-amerikanische Gesellschaft? War Donald nicht arm, arbeitslos – und besaß trotzdem Haus und Auto? Hatte immer genug zu essen? Konnte seinen Neffen ein eigenes Zimmer bieten? Daisy zum Essen einladen? Das rabiate linke Autorenkollektiv „Grobian Gans“ entlarvte den autoritären Ersatzvater Donald sogar als faschistischen Kleinbürger. Ausgerechnt ihn, der Anfang der 40er Jahre für seine Leistung in Disneys Anti-NS-Propagandafilm „The Fuehrers Face“ den Oscar bekommen hatte.
Seinen Ruf konnten solche Verleumdungen nicht dauerhaft schädigen. Spätestens seit den Achtzigern, als die westdeutsche Friedensbewegung „Donald statt Ronald“ (Reagan, d. Red.) forderte, ist der berühmteste Entenhausener umfassend rehabilitiert. Er hätte es verdient, dass man ihm zu Ehren das populärste Symbol des Pazifismusüberarbeitet – und Donald Duck zur Friedens-Ente kürt.