Datum: 09. Juni 2004 14:29
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Ich-AG mit Bürzel
Es hapert immer noch ziemlich an Altersvorsorge: Donald Duck feiert seinen 70. Geburtstag
Von Ulli Kulke
70 Jahre, arbeitslos, alleinerziehend und cholerisch: Donald Duck in Höchstform
Foto: dpa/Disney
Vor 70 Jahren erschien zum ersten Mal ein Erpel im Matrosenanzug auf der Leinwand, im Zeichentrickfilm "The Wise Little Hen". Seitdem entzückt Donald Duck alle Zuschauer. Wie ist er denn so mit 70 Jahren?
Donald Duck wird 70 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch, keine Frage. Aber die Angelegenheit entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit. Alle feiern mit, aber jeder weiß: Der Jubilar hat nie und nimmer sieben Jahrzehnte auf dem Buckel, eher schon kaum die Hälfte. Gewiss, reihen wir alle seine Verfehlungen aneinander, so würde das Doppelte von 70 Lenzen nicht reichen. Aber das ist eben nur die eine Zeitschiene, die halbe Wahrheit. Die andere Schiene trägt alle Merkmale einer Zeitschlaufe, die ihn, wie auch alle Mitbürger Entenhausens, immer wieder auf "Los" schickt, ohne jeglichen Alterungsprozess, unermüdlich. Entenhausen ist, und bleibt deshalb mit zwingender Logik, das zeitlose Paralleluniversum - als welches es freilich im einschlägigen Diskurs sattsam bekannt ist.
Völlig unbekannt dagegen ist Donalds Leben mit tatsächlichen 70 Jahren, quasi die "dritte Hälfte" der Wahrheit: Was treibt Donald, fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters? Wie sieht er aus, wie und wovon lebt er, und vor allem: wo? Kein Konterfei erklärt uns den späten Duck. Die umfangreiche Sekundärliteratur klammert die Frage aus. Die Verantwortlichen, Disney und der Ehapa-Verlag, verweigern die Aussage. Wiederholt wird stets, dass Donald zuerst im Kino herum alberte, am 9. Juni 1934 war die Premiere von "The Wise Little Hen" mit ihm als Nebenfigur.
Dabei bietet die Parallelität der diversen Zeitschienen eine einmalige Gelegenheit: Duck könnte den Generationenvertrag - falls es so etwas in der Stadt an der Gumpe gibt - mit sich selbst abschließen. Der Tagelöhner Duck würde für das Auskommen des Rentners Duck sorgen. Aber reicht das?
An D. Duck jr. soll es nicht liegen. Bei aller berechtigten Kritik an seinem Lebensstil und Arbeitsethos, eines muss an seinem Geburtstag auch mal erwähnt werden: Er erfüllt wie kein zweiter alle Bedingungen, die die Hartz-Kommission an den modernen Erwerbstätigen stellt:
1. Er steht heute - wenn auch mit Unterbrechungen - seit ziemlich genau 70 Jahren im Arbeitsleben: Schulabschluss also kurz nach dem Ei, und eine Lebensarbeitszeit, die Professor Hartz persönlich kaum überbieten könnte.
2. Seine weit über 100 Berufe allein während der Ära des Zeichners Carl Barks beweisen eine beispiellose Flexibilität.
3. Wer kann schon von sich behaupten, den Niedriglohnsektor so vielfältig ausgefüllt zu haben wie Donald Duck. Tagessätze von wenigen Kreuzern sind für ihn üblich.
So weit so gut, aber was bringt die Bereitschaft dem Rentner Duck? Nirgendwo lesen wir den Hinweis, dass Tagelöhner Duck auch nur einen Kreuzer in die Rentenkasse abführt. Ergo: Im Alter ist er doch weitgehend auf sich gestellt.
Verfügt er über Vermögen? Hat er geerbt? Eines können wir getrost bezweifeln: dass der - auf dieser Zeitschiene natürlich längst von uns gegangene - Tripstrillionär Dagobert Duck in seinem Testament Donald bedacht hätte. Dazu war die Vertrauenslücke denn doch zu groß. Wenn überhaupt jemand im engeren Familienkreis, so kämen dafür nur die drei Kleinen - Tick, Trick und Track - in Frage. Dass aber davon ausgerechnet Donald profitieren würde, kann nach all dem früheren Streit um die Einhaltung der Schulpflicht, um das samstägliche Bad und nach Donalds notorischen Griffen in die Sparbüchse der Kleinen ausgeschlossen werden. Die Lebensphilosophie läuft darauf hinaus, dass Donald Duck sen. ein einsames Leben fristet. 70 Jahre und ein bisschen Pleite.
Spiegelbildlich zum Niedrigstlohn-Duck müsste Rentner Duck wohl oder übel an einen Niedrigpreis-Ort ziehen. Was läge da näher als Timbuktu? Die Wüstenstadt am Ende der Welt ist unserem Protagonisten bekannt aus diversen Zwangsaufenthalten - immer dann, wenn für ihn das Pflaster Entenhausens noch heißer wurde als der Sand der Sahara.
Donalds roter Wagen "313" kennt den Weg ab dem Hinweisschild "Timbuktu 6954 Meilen" am Ortsausgang von Entenhausen inzwischen selbstständig. Mit Wohnanhänger. Aber auch als Fluchtpunkt selbst dürfte die Stadt in Mali aktueller sein denn je. Ist doch, bei allem Respekt, kaum anzunehmen, dass sein Jähzorn, seine unstillbare Rachsucht und sein leichtfertiger Umgang mit dem Eigentum anderer zum Alter hin abgenommen hätten.
Auf die Lehmwände seines Alterssitzes dürfte Donald mit etwas Wehmut starren. Sein Lieblingssport ist das Angeln, und da bietet der Niger nur unzulänglichen Ersatz für die lachsgesättigte Gumpe. Auch seine anderen Hobbys, die fast alle mit dem Wasser oder mit Schnee und Eis zu tun haben, sind Vergangenheit. Doch Donald dürfte ohnehin eingesehen haben, dass er mit seinen halsbrecherischen Skisprüngen als 70-Jähriger keinen Pokal mehr gewinnt. Und seine Füße, die er - in einem der seltenen Anflüge von Selbstzweifel - schon als Jugendlicher als "zu lappig" für Wasserski empfand, sollten auch nicht straffer geworden sein.
Timbuktu, weit, weit weg von Entenhausen, könnte einen unverhofften Vorteil bieten: eine Einkommensquelle. Eine, die auf den ersten Blick unmöglich erscheinen mag, für die aber auf den zweiten vieles spräche: ein kleines Taschengeld - bezahlt vom Erzfeind Gustav Gans. Und das ginge so:
Wir können sicher davon ausgehen, dass Gustav, der Glückspilz, pünktlich zum 65. Geburtstag eine hochdotierte Rente auf Lebenszeit gewonnen hat. Nun aufs Alter ist Gustav mit Daisy zusammen. Vorausgesetzt, Daisy tätigt die Überweisungen nach Timbuktu, könnten in diesem Dreiecksverhältnis alle ihr Gesicht wahren: Daisy wäre das schlechte Gewissen gegenüber Donald genommen. Gustav hätte die Chance, Daisys latente Vorbehalte an seiner Person zu beseitigen. Und Donald wäre für Schamgefühle viel zu weit weg, könnte ganz sein Dasein als Efendi in der Wüste genießen. Ein Beziehungsgebäude, wie es exakt so vieltausendfach auch bei uns im Lande existiert. Dank Altersarmut mit steigender Tendenz. Aber Donald Duck war schon immer der Pionier. Jedenfalls aus seiner Sicht.