Datum: 03. Mai 2024 00:43
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Beppo
Die Entenhausener kennen unsere Geschichte.
Tscheck' ich's? Deine Erklärung für Parallelerscheinungen zwischen unserer Welt und der der Ducks lautet, daß die Entenhausener sich munter bei uns bedienen? In Entenhausen kennt man Napoleon, Graf Zeppelin und Ernst Horst. Also: Haben die Entenhausener alles bei uns geklaut. Unseren Napoleon haben sie menschenfressergleich ganz in ihr eigenes Geschichtsgedächtnis einverdaut, im Fall von Ernst Horst hat ein Entenhausener Bürger einfach nur den Namen gemopst. Muß man von Fall zu Fall anschauen.
Ich möchte diese Paralleluniversumlehre als Übertragungslehre, Übernahmelehre, Aneignungslehre, Abzwacklehre oder Alles-nur-geklaut-Lehre bezeichnen. Man suche sich aus, was am geilsten klingt. Ich nehm' erst mal: Alles nur geklaut.
Nun aber eins: Wozu braucht's da die ganz andere Sprache der Entenhausener? Wie ich's sehe, ist "Anatisch" in diesem schwindelerregend aufgetürmten Gedankenbau ein ganz überflüssiger, ja sogar störender Zwischenstein. Wenn die Entenhausener eh fleißig zulangen bei uns und klauen wie die Raben, den Napoleon und den Grafen Zeppelin und den Ernst Horst rüberziehen zu sich in ihre Welt – dann ist doch der am nächsten liegende Gedanke, daß sie längst auch unsere Sprachen gefingert haben. Dann haben sie vielleicht mal in grauer Vorzeit "Anatisch" gesprochen, haben sich aber längst unser liebes Deutsch und andere Sprachen aus unserer Welt angeeignet, haben die "anatischen" Sprachen ihrer Ahnen vielleicht längst verlernt und vergessen.
Aber es ist eh alles ein Schmarrn.
Ich hol' groß aus. Im "Paralleluniversum", das wir Anaversum heißen, sehen wir bis zu den kleinsten Verästelungen Gleichläufigkeiten (mit dem prächtigen, anschaulichen, kraftvollen Deutschwort "Gleichlauf" will ich den faden Griechling "Parallele" bis auf weiteres vertschüssen). Die Alles-nur-geklaut-Lehre sehe ich im Angesicht des großen Gleichlaufs als (Aber-)Witz.
Wir sehen in beiden Welten Gleichlauferscheinungen bei den Baustilen aller Völker und Zeiten, aber auch bei den Kleidermoden aller Zeiten und Völker. Nun könnt' einer noch sagen, die Entenhausener im engeren Sinne, das in der Maschinenzivilisation lebende Völkchen der Stella-Anatium-Jetztzeitstadt Entenhausen, die bauen wie wir und gewanden sich wie wir, weil sie jeden Abend im Sessel "unsere Welt" gucken oder lesen und unseren Lebensstil nachahmen wollen. Doch warum bauen, gewanden sich, leben auch abgesonderte kleine Stämme im Urwald, im Hochgebirg, in der Eiswüste in beiden Welten so "gleich", warum taten's die alten Perser beider Welten? Schmökern die Indianer und Eskimos auf Stella Anatium auch jeden Abend farbige Illustrierte, die ihnen vorführen, wie ihre Vorbilder in unserer Welt leben?
Sicher, einige grundsätzliche Kulturgleichläufe entstehen durch gleiche äußere Bedingungen. Im Urwald ist's arschheiß, da rennt man nicht hier und nicht im Anaversum mit Pelzhandschühchen und Schapka rum, und das muß ein Urwaldstamm drüben nicht einem Urwaldstamm hüben erst abgucken. Aber die alles-nur-geklaut-Lehre stünde splitternackt da, wollte sie darlegen, warum auf Stella Anatium im Nordwesten Nordamerikas ein von der weißen,"zivilisierten" Welt abgeschottet lebender Indianerstamm in seiner Kultur, die Barks uns doch prächtig zeigt, hochentwickelte Formen entfaltet wie ein "gleicher" Stamm bei uns. Ein reichgeschnitzter Totempfahl läßt sich bloß aus Wind, Wetter, Boden nicht erklären. Der Totempfahl ist Endpunkt einer langen Kulturentwicklung, die an tausend Punkten woandershin hätte abbiegen können.
Gehen wir weiter. Nicht nur bei Kulturformen im weitesten Sinne sehen wir in beiden Welten einen "unmöglichen" Gleichlauf in tausenderlei Formen, Fragen, Dingen, sondern auch im Geschichtsgeschehen. Ich nannte schon Francisco de Ulloa. Auch die Eroberung des Inkareiches durch die Spanier haben die Ducks nicht nur in irgendwelchen Büchern oder Filmen über unsere Welt gelesen oder gesehen und als "ihre Geschichte" sich geistig einverputzt. sondern diese Eroberung
hat sich auf Stella Anatium wirklich abgespielt: Dagobert holt das alte spanische Schiff nach Entenhausen, die Ducks finden in den Anden Spuren der Conquistadoren, die letzten Hüter des Inkareichs oben auf dem Berg reden von den Männern in Eisenrüstungen, die vor vielen hundert Jahren gekommen sind.
Weiter. Die Lage der Erdteile und ihre Umrisse sind in beiden Welten ungefähr gleich. Das Matterhorn sieht auch ungefähr gleich aus. Formen die drüben ihre gesamte Erdoberfläche mit riesenhafter Gewalt um, nur weil sie bei sich alles so haben wollen, wie wir's hier haben?
Nein, jede Alles-nur-geklaut-Lehre rennt in eine Sackgasse nach der anderen, muß immer verzweifeltere, immer halsbrecherische Luftsprünge vorführen, um die Gleichläufe beider Welten zu erklären. Luftsprünge, bei denen, je halsbrechender, nur der Pöbel !Aah!" und "Ooh!" schreit. Der ernste Entenhausenschauer weiß: Nichts ist's mit der Lehre vom großen Klau.
Ich sag': Die Welten laufen gleich ohne gegenseitige Berührungen, Einflüsse, Hineingrätschereien. Und: Die Entenhausener wissen nichts von uns. Es gibt keinen gerichtsfesten Beweis, daß sie's tun. Wir, ja, wir wissen von Entenhausen. Aber nicht viel, nur ein bißchen was. Und das nur, weil der Barks und die Fuchs dort reingeguckt und reingelauscht haben. Sie haben aber nichts angefaßt oder kaputtgemacht. Sie waren nicht mal körperlich dort. Haben nur geguckt und gelauscht. Und Gedanken gelesen. Was man als Medium halt so tut.
Und wie kommt's nun, daß die zwei Welten so gleichlaufen? Tja, wenn ich das wüßte! Ich kann nur mit Staunen und Ehrfurcht sehen, daß es so ist. Aber ist's nicht mit unserer Welt genauso, daß wir im letzten Grund nicht wissen, warum sie läuft? Wir wissen nicht, wie und warum der Urknall geschah oder, falls die Astrofuzzis mit dem Urknall schiefgewickelt sind, warum wir sind, warum das All ist. Sicher, sicher, "eine ungeheure Zusammenballung von Kraft und Stoff an einem Punkt". Aber ist das die Letzterklärung? Warum war diese Ballung da, woher kam die, warum "knallte" sie dann, als sie's tat? – War halt so.
Warum haben die in Entenhausen den Napoleon und den Grafen Zeppelin und den Ernst Horst? Ich weiß es nicht, niemand weiß es. – Ist halt so. Freilich, eins weiß ich sicher: Es ist
nicht "alles nur geklaut". – Das "Forschungsproblem" Ernst Horst ist meines Erachtens sowieso keins. Anders als im Fall von Napoleon und Graf Zeppelin haben wir hier, meine ich, eine rein zufällige Namensgleichheit. Man wird auch in unserer Welt neben dem bekannten und geschätzten Donaldisten dieses Namens einen ganzen Schock Ernst Horste mühelos ausgraben.
Vielleicht tüftelt ein donaldistischer Brausekopf einmal eine ernste Lehre aus, wie und warum so ein "Paralleluniversum" mit seinem ständigen Gleichlauf in tausend großen und kleinen Dingen übrhaupt sein kann. Vielleicht schafft's mal ein donaldistischer Albert Einstein, Licht auf das zu werfen, was uns unerklärlich scheint. Zum Urgrund, fürcht' ich, stößt auch er nicht. Nicht in hundert und nicht in tausend Jahren.
Ist halt so.
8-mal bearbeitet. Zuletzt am 03.05.24 14:35.