Datum: 18. Mai 2023 04:34
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Hr.Zeilinger
Wenn die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen mit 100 km/h begrenzt wird, ist dann 100 km/h schon rasen?
Die Frage, wann beginnt das Rasen, habe ich übergrübelt.
Das einfachste wär' zu sagen, einer, der eine an einem bestimmten Punkt gesetzlich bestimmte Höchstgeschwindigkeit überschreitet, der rast. Diese Bestimmung des Rasens wäre glasklar – und lebensfremd.
Fall eins: Jeder kennt's: Man fährt in einen Ort ein. In Deutschland gelbes Schild. Runter von hundert auf fuffzig. Man geht vom Gas runter, bremst. Man ist schon weit unter hundert, wenn man am Ortsschild vorbeifährt, aber noch über fuffzig. Man rollt mit sechzig am Ortsschild vorbei aus. Nach der Bestimmung oben würde man mit Vorbeifahren am Ortsschild unvermittelt zum Raser, weil innerorts zu schnell, bis man sich auf fünfzig verlangsamt hat.
Abschweife: Das widerfährt mir sehr häufig: daß ich noch zu schnell bin, wenn ich an einem Geschwindigkeitsverringerungsschild vorbeifahre. Aus Spritspargründen meide ich das Bremsen wie der Deibi das Taufwasser und gehe eher von weitem vom Gas runter und lasse den Wagen – im Gang oder Leerlauf, je nach Gegebenheit – ausrollen; die Runterschalterei, um vor Ampeln die Geschwindigkeit zu verringern (Spritverbrauch beim Ausrollen im Gang: null), habe ich zur Kunst entwickelt. Bei Strecken und Ampelschaltungen, die ich gut kenne, klappt das sehr gut. Manchmal kann ich nicht umhin zu bremsen. Mir tut's jedesmal leid, wenn ich bremsen muß. Der kostbare Brennstoff, dessen Daseinssinn es ist, in Bewegung umgesetzt zu werden, mustergültig in Autobahnrasen, verpufft zwischen Bremsbacken und Bremstrommeln als Wärme in den Äther.
Fall zwei: Einer fährt innerorts beständig 51 km/h. Ein Raser? Zu schnell? Ein am Straßenrand stehender Beobachter könnte gar nicht sagen, wieviel genau der Mensch fährt und ob er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet; keiner wird den 51-Fahrer einen Raser schelten.
Die Bestimmung: der die zulässige Geschwindigkeit überschreitet, der rast, ist lebensfremd. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Wann das Rasen anfängt, hängt viel von den Gegebenheiten ab.
Innerorts, Tempo fünfzig: Den 51-Fahrer wird niemand als Raser wahrnehmen. Aber ist die Straße eng, ist sie an beiden Seiten zugeparkt und ist viel Volk auf den Straßen – im Kraftwagen, auf dem Rad, zu Fuß –, dann ist die Schwelle, ab wann man einen als Raser sieht, gewiß niedriger als auf einer breiten Straße in einem Industrieviertel, zu einer Zeit, da keine Seele unterwegs ist.
Anderes Beispiel: Ein Autobahnabschnitt ohne Geschwindigkeitsbegrenzung – der also zum Rasen freigegeben ist. Es ist viel los, Karawane auf beiden Spuren, aber sie zieht gut dahin, mit neunzig oder hundert. Immer wieder gibt's da nun Verrückte, die schneller unterwegs sein wollen als alle und sich durch ständigen Spurwechsel, einschließlich verbotenen Rechtsüberholens, durchschlängeln. So ein Schlängler fährt – auf einer eigentlichen Raserstrecke – vielleicht grad mal 110 oder 120, aber er wird von den Karawanenreisenden als ungehobelter, gefährlicher Raser wahrgenommen. Doch zu einem anderen Zeitpunkt könnte einer am gleichen Ort 140 "sausen", stünde aber im Vergleich mit den deutschen Herrenrasern, die mit 170, 200, 250 km/h an ihm vorbeisegeln, als Spurschleicher und Opafahrer da.
Somit: Rasen ist "relativ" und "subjektiv". Auf Abschnitten der bundesdeutschen Autobahn, die zum unbegrenzten Rasen freigegeben sind und, entscheidend, zu Zeitpunkten und bei Verhältnissen, die das Rasen mit Hochgeschwindigkeiten (zweihundert plus) ohne weiteres erlauben, würde ich sagen: Rasen beginnt so bei 160. Zwischen 150 und 160 war's ungefähr auch immer, wo meine Mutter als Beifahrerin und eingefleischte Langsamfahrerin vorsichtig zu mir zu sagen wagte: "Nicht so schnell." (Ewige Familienklage: "Die Buben mit ihrem Gesause!")