Datum: 13. Oktober 2019 08:03
Quote
Ostsibirischer Korjakenknacker
Jetzt hast du mich von links hinten erwischt: warum Alexandriner? Hm.
"Ich bin, mein Freund, sehr glücklich, dich zu sehen." "Das ist ein Alexandriner!" (wie mir kundigen Mundes unser Gerold bestätigt hat).
Oder ein Anhänger des Clemens von Alexandrien? Kaum. Nacheiferer des "großen Alexander" ...? Oder gar, wie die ursprüngliche Etymologie nahelegt, "männermordend"???
Nee, mein Freund, alles Stierscheiße.
Wie Du bestimmt schon mal gehört hast im Zuge Deiner Studien, hat Alexander, "der Große", einst die Stadt Alexandria gegründet. Sie entwickelte sich – wie Du vielleicht auch einmal vernahmst – in der Spätantike zur Stadt des Wissens, der Studien, der Philosophie. Asterix und Obelix wissen Bescheid. Sie waren dort!
Alexandria … die Alexandriner … die Spätgeborenen, die Wissen anhäufen, in die Breite gehen, doch nicht in die Tiefe dringen …
Ich habe zuviel Spengler gelesen – was ziemlich einfach ist, als dessen "Opus" nicht soooo umfangreich ist. Die "Alexandriner" hat wohl der Schwabinger Untergangsphilosoph in meinen Hirnkasten gebrannt.
„Noch in diesem Jahrhundert, dem des wissenschaftlich-kritischen Alexandrinismus, der großen Ernten, der endgültigen Fassungen, wird ein neuer Zug von Innerlichkeit den Willen zum Siege der Wissenschaft überwinden.“
„Unser großes Jahrhundert ist das neunzehnte gewesen. Gelehrte im Stile von Gauß, Humboldt, Helmholtz waren schon um 1900 nicht mehr da; in der Physik wie in der Chemie, der Biologie wie der Mathematik sind die großen Meister tot, und wir erleben heute das Decrescendo der glänzenden Nachzügler, die ordnen, sammeln und abschließen wie die Alexandriner der Römerzeit.“
„Es war nicht das Volk, das unbewußt und in nie versiegender Fülle diese immer neuen Lieder hervorbrachte. Es waren, trotz allem, Dichter der Stadt, die für sich allein oder im kleinen Kreise dergleichen nachbildeten, in ehrlicher Einfalt oder öfter in künstlicher Nachahmung; und damit weist die westeuropäische Romantik auf jene Dichtung der antiken ‚Zeitgenossen‘, der Alexandriner, die von der koischen Schule Theokrits bis zu den Dichtern der römischen Kaiserzeit dasselbe wollten und dasselbe erreichten. Romantik ist der Alexandrinismus unserer Kultur.“
„Die meisten, kluge Alexandriner, bringen es nur dahin zu fühlen, wie es sein müßte, wenn man ein Dichter wäre, und sie zwingen sich in einer bis zur vollsten Selbsttäuschung reifenden Gewöhnung, Dichtungen entstehen zu lassen von stärkster geistiger Beherrschtheit, in der die Worte gestellt, nicht gefunden sind, voll richtig gewählter Farben, richtig ersonnener Bilder, alles bis zur vollkommensten Einbildung der Echtheit verteilt, aufgebaut und ausgeglichen.“
Und so weiter …
Selbstverständlich hab' ich all das nun nicht aus meinem Hirnkasten gezuzelt, sondern mit Zeno, Gutenberg, Gockel und Co. aus dem Netze gefischt.
Wie auch immer, ich hatte geglaubt, die Redewendung "Alexandriner", "alexandrinisch", "Alexandrinismus" in diesem Sinn sei halbwegs "verbreitet". Aber sie scheint, Gockel zufolge, tatsächlich enger "spenglerisch" zu sein.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 13.10.19 08:37.